Die Drohnen-Panik: 55 von 61 Vorfällen waren „sicher keine feindliche Aktivitäten“

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Kaum Fotos und wenig Infos – wer die plötzliche Drohnen-Offensive etwas skeptisch betrachtet hat, wird nun von einer niederländischen Experten-Plattform bestätigt: 90 % der Drohnen-Vorfälle in Europa waren sicher keine feindlichen Aktivitäten.
Die einen nennen es „dünne Faktenlage“, die anderen bereits etwas deftiger das „Drohnen-Märchen“: Seit Monaten häufen sich in Europa Meldungen über angebliche Drohnensichtungen an Flughäfen, Häfen und militärischen Einrichtungen. Die Berichte lösten Nervosität aus, führten zu temporären Schließungen und boten reichlich Nährboden für Spekulationen über russische Einflussnahme.
Doch eine gemeinsame Auswertung von Trouw und Dronewatch legt nahe, dass der Kontinent weniger von geheimnisvollen Drohnenschwärmen heimgesucht wird als vielmehr von einer Welle kollektiver Fehlinterpretationen.
Zwischen dem 9. September und dem 27. November wurden in Europa laut der niederländischen Website Dronewatch insgesamt 61 Vorfälle gemeldet.
Die Analyse dazu: In 55 der 61 Fälle fehlt bis heute jede Bestätigung, dass überhaupt Drohnen im Einsatz waren. Physisches Beweismaterial ist selten – und in fast allen Fällen, in denen es existiert, stammt es aus osteuropäischen Ländern, die direkt an die Ukraine grenzen. Von einer orchestrierten russischen Hybridkampagne in Westeuropa zu sprechen, dafür gibt es bislang keinen einzigen belastbaren Hinweis.
Zusammenfassend kann gesagt werden:
14 Fälle: eindeutig keine Drohnen (sondern Hubschrauber, Flugzeuge, Sterne, Schiffe).
41 Fälle: keinerlei technische Beweise, Natur des Objekts unklar.
Nur 3 russische Drohnen – alle an der Ukraine-Grenze (Polen, Rumänien, Moldau).
Sowie 3 Hobby- oder Touristendrohnen.
In 90 Prozent der Fälle gibt es somit keine Bestätigung feindlicher Aktivitäten.
Polizeihelikopter war plötzlich auch eine „Drohne“
Auffällig ist die Häufung von Meldungen in Belgien. Die dort über Wochen dominierende mediale Aufmerksamkeit erzeugte eine Art „Beobachtungsschleife“: Wer einmal gelernt hat, dass Drohnen überall lauern könnten, neigt dazu, harmlose Lichtpunkte am Himmel zur Bedrohung hochzustufen. Das mündete in kuriosen Fehleinschätzungen. So stellte sich eine vermeintlich große Drohne über Zaventem im Nachhinein als Polizeihelikopter heraus. Auch andere Meldungen führten nicht in die Welt unerlaubter Fluggeräte, sondern in die deutlich konventionellere Sphäre von Hubschraubern oder landenden Frachtflugzeugen.
Fehlinterpretationen waren dabei kein belgisches Phänomen. In Dänemark wurden Sterne für Drohnen gehalten, in Süd-Limburg ebenso. Vor Norwegen hielt man ein fahrendes Schiff zunächst für ein Luftobjekt. Derartige Verwechslungen sind keineswegs ungewöhnlich. Sie werden jedoch begünstigt durch die enorme Aufmerksamkeit rund um das Thema Drohnensicherheit – und durch den Umstand, dass viele Sichtungen ausschließlich auf menschlichen Beobachtungen basieren. Fehlende oder abgeschaltete Detektionssysteme verschärfen die Unsicherheit zusätzlich.
In Kopenhagen zeigte eine spätere Rekonstruktion eines dänischen Fernsehsenders, dass ein Großteil der gemeldeten Vorfälle nichts weiter als regulärer Flugverkehr war. In Oslo stand zwar ein Detektor, doch befand er sich im entscheidenden Moment nicht im Betrieb. In Göteborg konnte später keine einzige Drohne verifiziert werden, obwohl das dortige Flughafengelände zeitweise geschlossen wurde.
Wahrnehmungsfehler und medial befeuerte Panik
Ein besonders interessantes Detail der Analyse: In Belgien gingen die Meldungen unmittelbar zurück, nachdem zusätzliche Detektionssysteme installiert worden waren. Das lässt zwei Interpretationen zu – entweder haben tatsächliche Drohnenpiloten ihre Aktivitäten eingestellt, oder die zuvor massenhaft gemeldeten Sichtungen beruhten schlicht auf Wahrnehmungsfehlern. Angesichts der gesamten Datenlage drängt sich Letzteres auf.
Trotz der dünnen Faktenbasis reagieren viele europäische Staaten mit kostspieligen Investitionen. Belgien beschafft neue Detektionssysteme und Störsender, die Niederlande setzen auf IRIS-Radare und SkyRanger-Kanonen. Auch Österreich bestellt teure Skyranger-Geschütze für das Bundesheer.
Die politischen Schlussfolgerungen stehen damit in einem auffälligen Missverhältnis zur tatsächlichen Evidenz. Die Situation erinnert stark an den Fall von New Jersey im vergangenen Jahr: Tausende vermeintliche Drohnensichtungen sorgten für landesweite Alarmstimmung, bis die FBI-Untersuchung ergab, dass keine feindlichen Aktivitäten stattgefunden hatten.
Die europäische Drohnen-Panik folgt einem wiederkehrenden Muster: mediale Dramatisierung, menschliche Wahrnehmungsfehler, fehlende technische Bestätigung – und am Ende große politische Maßnahmen bei geringer Faktenlage
Über Dronewatch.nl
Diese Analyse ist vorab bei den Experten der Drohnen-Website Dronewatch erschienen.
Dronewatch.nl wurde 2014 von Wiebe de Jager gegründet und hat sich seitdem im niederländischen Sprachraum zur meistgelesenen Website über Drohnen, Drohneneinsätze, technologische Entwicklungen im Bereich der unbemannten Luftfahrt und Regulierungsthemen entwickelt. Es gibt auch eine englischsprachige Ausgabe von Dronewatch (Dronewatch.eu), mit Schwerpunkt auf Entwicklungen in Europa.
Dronewatch.nl veröffentlicht täglich abwechslungsreiche Beiträge mit einer positiv-kritischen Perspektive. Der Schwerpunkt liegt auf zivilen und kommerziellen Anwendungen von Drohnen. Auch militärische und verteidigungsbezogene Entwicklungen werden aufgegriffen, sofern ein deutlicher Bezug zum zivilen Bereich besteht.

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Foto: Niall Carson/PA Images via Getty Images
ℹ️ Dieser Beitrag stammt ursprünglich von statement.at
Die Drohnen-Panik: 55 von 61 Vorfällen waren "sicher keine feindliche Aktivitäten"

